Schwerpunkt

Berufspolitik

Ambulante Versorgung der Zukunft

Thorsten Schmidt, stellvertretender Vorsitzender der KVN, zu Delegation und Digitalisierung.

Interview: Detlef Haffke Foto: Nils Hendrik Müller

kvn.magazin: Herr Schmidt, was sind aus KVN-Sicht die zwei wichtigsten Aspekte für die ambulante Versorgung der Zukunft?
Thorsten Schmidt: Zum einen müssen wir die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Alltag entlasten und die Delegation ärztlicher Aufgaben vorantreiben. Zum anderen wird die Digitalisierung die Prozesse im Gesundheitswesen nachhaltig verändern.

Können Sie präzisieren, was Sie mit Delegation meinen?
Gerade im ländlichen Niedersachsen bietet sich einiges an Potenzial für den hausärztlichen und fachärztlichen Bereich, indem Aufgaben der Ärztin oder des Arztes verändert beziehungsweise anders priorisiert werden: Beispielsweise können Versorgungskapazitäten gehoben werden, wenn der Hausarzt nicht viel Zeit mit langen Überlandfahrten verbringt, sondern weiter Patienten in der Praxis behandelt, während eine eigens hierfür geschulte Assistentin oder ein Assistent delegationsfähige Leistungen übernimmt.

Ist das heute nicht schon der Fall?
Ja, über das Honorarsystem wird sowohl in der Regelversorgung als auch in Hausarztverträgen die Delegation gefördert, wenn speziell weitergebildete medizinische Fachangestellte zum Einsatz kommen, beispielsweise die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, die so genannte NäPa/VERAH. Das Potenzial dieser Unterstützungsleistungen ist aber ausbaufähig. Rund die Hälfte der Hausbesuche ist delegierbar. Hierdurch wird die Ärztin oder der Arzt zeitlich entlastet, frei gewordene Kapazitäten können dann für zusätzliche Patientenkontakte genutzt werden.

Was muss noch passieren?
Die Delegations-Vereinbarung im Bundesmantelvertrag ist in die Jahre gekommen. Sie bildet die Versorgung im Praxisteam nicht mehr so ab, wie sie sinnvoll wäre. Es bedarf also dringend einer Überarbeitung, die den delegierenden Ärztinnen und Ärzten Rechtssicherheit aber auch gleichzeitig Freiraum gibt. Dies gilt umso mehr als in den letzten Jahren weitere qualifizierte Berufe wie Physician Assistents, PrimaryCareManager etc. in den Praxen angekommen sind. Auch die Optionen zur Delegation unter telemedizinischer Anleitung müssen abgebildet werden.

Sie haben die Digitalisierung von Prozessen im Gesundheitswesen angesprochen. Eine große Chance, oder?
eRezept, eAU und ePA machen deutlich, welche Chancen und vielfältigen Möglichkeiten die Digitalisierung des Gesundheitswesens bietet. Ebenso die Möglichkeiten der telefonischen und der Video-Sprechstunden. Patienten werden auf jeden Fall in Zukunft vermehrt auf digitalem Weg mit ihrem behandelnden Arzt oder ihrer Ärztin in Kontakt treten und damit auch das social distancing vorantreiben.

Werden digitale Anwendungen die Ärztin oder den Arzt ersetzen?
Der Ausbau der digitalen Infrastruktur und der telemedizinischen Angebote sind wichtige Beiträge für die Sicherung und den Erhalt der medizinischen Grundversorgung, gerade in vielen ländlichen Regionen. Klar ist: Digitalisierung oder künstliche Intelligenz werden nie die Ärztin oder den Arzt ersetzen, stellen aber eine wertvolle Unterstützung dar. Bestimmte Formate digitaler oder KI-gestützter Versorgung kommen nur für ein klar definiertes Indikationsgebiet in Frage. Durch eine veränderte Priorisierung der ärztlichen Aufgaben können jedoch Versorgungskapazitäten gehoben werden. Besonders im fachärztlichen Bereich eröffnet die Digitalisierung vielfältige Entlastungsmöglichkeiten, da Zeit in der Patientenversorgung und der Praxisorganisation eingespart wird.