Prolog

Versorgung

Im Alten Rathaus in Hannover ging es um neue Versorgungsformen. Das Publikum freute sich über Praxis statt Theorie.

Best-Practice für die Zukunft

Symposium der KVN zeigte, wie es gehen könnte mit der Versorgung

Text: Lars Menz Fotos: Kai-Uwe Knoth

Die Bundesregierung war am Vortrag des KVN-Symposiums zur Zukunft der Versorgung geplatzt. Entsprechend stand Mark Barjenbruch, der Vorstandsvorsitzende der KVN, Mitte November 2024 mit hochgezogenen Schultern vorm Publikum in Hannover. Welche Gesundheitsgesetze noch umgesetzt würden? Niemand wusste es. Viel Berufspolitik der letzten Jahre war plötzlich ungewiss geworden. Was Barjenbruch aber sagen konnte, war, dass die Versorgung der Zukunft auf jeden Fall anders als heute werden wird. Mehr Teil- statt Vollzeit, mehr Anstellung statt Freiberuflichkeit, mehr Work-Life-Balance statt eines selbstlosen Aufreibens im Job. Daran werden auch Gesetze nichts ändern können.

Nur, was bedeutet das für die zukünftige Versorgung? Konzentration der Praxen auf die Städte? Abkehr von der Einzelpraxis und Orientierung hin zum MVZ? Vermutlich. Was können Kassenärztliche Vereinigung, Politik, die Kommunen und Landkreise tun, um weiterhin eine gesicherte Versorgung im Land aufrechtzuerhalten? „Das Land wird proaktiv handeln“, sagte der Niedersächsische Gesundheitsminister Andreas Philippi, der per Videobotschaft ins Symposium kam, und meinte beispielsweise die Förderung sektorenübergreifender Modelle. Und: Die Hausärzte seien das „Rückgrat des Systems“ und benötigten ein umfassendes Aktionsprogramm, so der Minister. Sein Fokus richte sich auf Bürokratieabbau, Delegation ärztlicher Leistungen und Telemedizin. Er sah die KVN als „modernen Vorreiter“ bei all diesen Themen.

Moderator Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung Gesundheit

Videogrußbotschaft von Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung

Dr. rer. Pol. Dominik Graf von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI)

Thorsten Schmidt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen

Dr. Andreas Rühle, Geschäftsführer der ägnw Management GmbH (links) und Friedhelm Ottens, RVZ Wurster Nordeseeküste

Dr. med. Volker Eissing, Papenburg

Dr. Klaus-Achim Ehlers, Gifhorn

Tanja Gerlach, Praxismanagerin

Dr. Ulrich Berndt, Vorsitzender des Hausärztinnen und Hausärzte Verbands Niedersachsen

Diskussionsrunde mit Thomas Altgeld, Dr. Klaus-Achim Ehlers, Thorsten Schmidt, Dr. Eckhart Lummert und Marco Trips, Präsident des Städte- und Gemeindebundes Niedersachsen.

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Thorsten Schmidt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KVN, freute sich über Philippis Rückendeckung, sagte aber auch, alle Beteiligten müssten sich „ehrlich“ machen. Die Versorgung werde sich verändern. Schon jetzt steige der Druck auf die einzelnen Akteure. Schließe eine Praxis, spüre dies die benachbarte. Hinzu kämen 61 Tage Bürokratie pro Jahr und Arzt. Sowie eine unruhigere und zum Teil immer aggressivere Patientenschaft. Eine gewaltige Belastung. „Das macht den Beruf unattraktiver“, so Schmidt. Er forderte mehr Studienplätze, um die ausscheidenden Ärztinnen und Ärzte ersetzen zu können. Bereits zuvor hatte Dr. Dominik Graf von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, die aktuelle Bedarfsprojektion für Medizinstudienplätze aufgezeigt und deutlich gemacht, dass in den kommenden zehn Jahren sektorenübergreifend rund 14.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland fehlen werden, es pro Jahr aber nur 11.000 bundesweite Studienplätze gebe. Schmidt betonte, dass die KVN bereits maßgeblich in den Nachwuchs investiere und Famulaturen wie auch die Weiterbildung fördere sowie Umsatzgarantien für den Start in die Niederlassung gebe.

„Die Hausärzte sind das Rückgrat des Systems. Die KVN ein moderner Vorreiter.“

Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung

Trotz aller Bemühungen: Nötig sind Modelle, die das Arbeiten erleichtern, Druck reduzieren, die Digitalisierung sinnvoll nutzen. Das Symposium versuchte Ansätze für die Zukunft aufzuzeigen. Zielgruppe waren neben der Ärzteschaft vor allem die Landräte und Bürgermeister, die neue Konzepte in ihren Regionen zulassen, fördern und umsetzen können.

Beispiel Wurster Nordseeküste: Friedhelm Ottens, 1. Kreisrat Landkreis Cuxhaven, zeigte auf, wie eine gemeinnützige GmbH ein altes aber attraktives Klinikgebäude samt Nebengebäuden kaufte und dort neben Praxen einen Demenzstützpunkt, eine Tagespflege, eine Physiotherapie und auch ein Café integrierte. Unterstützung gab es vom Niedersächsischen Wirtschaftsministerium. So konnte in einer schlecht versorgten Region ein zentraler Anlaufpunkt geschaffen werden, der gerade auch den geflüchteten Menschen in der Region deutlich besser hilft. Hier stellen wir das Projekt ausführlich vor.

Eine weitere Möglichkeit, um Druck aus dem System zu nehmen, bzw. die wenigen Ärztinnen und Ärzte von Arbeit zu entlasten, ist die Akademisierung der nicht-ärztlichen Berufe. Ein „Physician Assistent“ kann viel Arbeit übernehmen am besten im Rahmen einer Teampraxis. Dr. Volker Eissing machte deutlich, dass gerade Haus- oder Heimbesuche von PAs übernommen werden können, inklusive telemedizinische Anbindung an den Arzt, der die Supervision leistet und zahlreiche Tätigkeiten delegiert, ohne jedoch die Verantwortung aus der Hand zu geben. Auch eine systematische Befunderstellung kann übernommen werden, bevor der Arzt hinzukommt, um das weitere Vorgehen mit Patienten und PA abzustimmen. Gesparte ärztliche Zeit, die anderen Fällen zur Verfügung steht.

Dr. Eckart Lummert (Mitte), Vorsitzender der KVN-Vertreterversammlung, wies auf das mit 54,6 Jahren hohe Durchschnittsalter der niedersächsischen Ärztinnen und Ärzte hin.

Mark Barjenbruch, KVN-Vorstandsvorsitzender, eröffnete das Symposium am 7. November 2024 in Hannover.

Die Zukunft steht ohnehin im Zeichen der Teamarbeit. Innerhalb einer Praxis, aber auch unter einem Dach. Die nachfolgende Generation arbeitet lieber gemeinsam, hat so die Möglichkeit bei der Kollegin oder dem Kollegen nachzufragen, Tätigkeiten auch aufzuteilen. Ärzte können ein solches Modell auch eigeninitiativ ins Rolle bringen. Dr. Klaus-Achim Ehlers stellte vor, wie mit Engagement und finanziellem Einsatz Ärztehäuser entstehen, die genau diese Vorteile mitbringen. Banken gehen das Invest meist mit. Die Ärzte arbeiten in modernen Gebäuden mit guter Ausstattung, sind nicht mehr als Einzelkämpfer unterwegs und dennoch eigenständige Unternehmer. Zusammen ist man weniger allein. Ein Motto, dass sich auch für die Patienten auszahlt, wenn neben dem Hausarzt ein Facharzt praktiziert und die Physio oder Apotheke gleich nebenan sind (siehe auch Beitrag hier).

Einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung geht die Avatarpraxis in Scheeßel. Hier wird hybrides Arbeiten großgeschrieben. Ein leibhaftiger Arzt vor Ort, aber auch ein Telemediziner, der aus dem Homeoffice zugeschaltet wird. Ein Self-Check-In, aber auch ein Tresen mit MFA. Ein Angebot, dass Versorgung herstellt, 4.000 bis 5.000 Patienten im Quartal versorgen kann und für den ärztlichen Nachwuchs extrem spannend ist. Vor Bewerbungen kann sich die Praxis jedenfalls kaum retten. Und auch die Politik ist schon aufmerksam geworden, SPD-Chef Lars Klingbeil war bereits in Scheeßel vor Ort. Einen detaillierten Blick in die Avatarpraxis gibt es hier.

Stärker zur Versorgung der Zukunft wird auch eine bessere Patientensteuerung beitragen, zum Beispiel in Form der Primärversorgung über Hausärztinnen und Hausärzte. Der niedersächsische Hausarztverband stellte hierfür auf dem Symposium ein eigenes dreistufiges Konzept vor. Ziel der geplanten Zertifizierung ist es, eine zentrale Anlaufstelle für wohnortnahe Versorgung zu schaffen, in der primär versorgt und gesteuert wird. Der Verbandsvorsitzende, Dr. Matthias Berndt, gestand zu, dass es zahlreiche ähnliche Konzepte gebe, aber keines bislang in der Breite umgesetzt worden sei. Dies wollen er und sein Verband 2025 angehen.

„Es muss aufhören, dass Politik und Krankenkassen permanent den Eindruck erwecken, Bürgerinnen und Bürger könnten alles sofort und umfangreich von ihren Ärztinnen und Ärzten erhalten. Das geht so nicht mehr.“

Dr. Eckart Lummert, Hausarzt und Vorsitzender der Vertreterversammlung der KVN

Von der Politik forderten alle Beteiligten des Symposiums mehr Wertschätzung für den ambulanten Bereich und die Offenheit, mehr Vielfalt in der Versorgung zuzulassen. Dr. Marco Trips, Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes, betonte, dass ihn die gleichen Themen bewegten. Man lag also nicht weit auseinander. Der Vorsitzende der Vertreterversammlung der KVN und Hausarzt Eckart Lummert sagte abschließend: „Wir müssen alle unserer Erwartungshaltung überdenken. Wir sollten uns freuen, dass Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte für uns da sind, statt uns darüber zu ärgern, dass sie nicht alles schaffen. Es muss aber auch aufhören, dass Politik und Krankenkassen permanent den Eindruck erwecken, Bürgerinnen und Bürger könnten alles sofort und umfangreich von ihren Ärztinnen und Ärzten erhalten. Das geht so nicht mehr.“ Damit hatte er Recht – und doch zeigt das Symposium Lösungen auf, was in Zukunft für die Aufrechterhaltung der Versorgung maßgeblich werden wird. Eckart Lummerts Meinung können Sie auch hier noch einmal nachlesen.