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Landärzte

Gemeinsame Praxis im Wendland: Hanno Himmel (links) und Simon Schloon sind Freunde. Job, Familie und Leben, versuchen sie entspannt anzugehen.

Die coolen Landärzte

Zwei Ärzte, eine Praxis auf dem Land und ein Leben weit ab von der Stadt. Warum Hanno Himmel und Simon Schloon eine Hausarztpraxis im Örtchen Clenze übernahmen und das richtig gut finden.

Text und Fotos: Lars Menz

Hanno Himmel (links) und Dr. Simon Schloon vor ihrer Praxis in Clenze. Rund 2.300 Patientinnen und Patienten versorgen sie gemeinsam mit ihrem Team. Lieber eine Niederlassung in der Stadt? Denkbar, aber keiner von Beiden will das.

Simon Schloon trägt nachhaltige Sneaker und einen hippen Schnauzer. Im Hamburger Schanzenviertel würde sein Style nicht weiter auffallen und tatsächlich kommt Schloon aus Hamburg. Der 42-jährige hat dort seinen Facharzt zum Anästhesisten gemacht. Dann aber störte ihn die Stadt und er wollte der Fatigue, die er empfand und dem Generve, wie er sagt, entfliehen. Im östlichen Niedersachsen, genauer im Wendland, in einem Dörfchen mit 11 Häusern fanden er und seine Familie eine neue Heimat. Die nächste Autobahn ist hier eine Stunde entfernt. Sein Sohn kam in die gleiche Klasse wie der von Hanno Himmel. Himmel führt im Flecken Clenze im Landkreis Lüchow-Dannenberg seit 2021 eine Hausarztpraxis. Schloon stieg mit ein.

Himmel ist ein Jahr älter als sein Praxispartner, kommt ursprünglich aus der Nähe von Aachen, ist dort im ländlichen Raum aufgewachsen und hat in Leipzig Medizin studiert. Ihm war immer klar, dass er zurückwollte aufs Land. „Bei einem Ausflug ist der Funke der Region auf uns übergesprungen“, sagt der Allgemeinmediziner. Himmel und Schloon sind ihre Familien extrem wichtig. Im Wendland können sie Job und Privatleben optimal verbinden. Für Schloon eine wichtige Prämisse, um herzuziehen. Seine Frau ist selbstständig und arbeitet aus dem Homeoffice. Internetbandbreite ist im Wendland kein Problem. Himmels Frau ist ebenfalls Ärztin, ein Einstieg in die Praxis ist mittelfristig angedacht. Das Private funktioniert also, auch wenn aktuell ein Schulbus gestrichen wurde, was die Familien ganz direkt trifft. „Es ist hier immer auch ein Kampf“, sagt Schloon.

Landarzt werden

Himmel übernahm die Praxis in Clenze zunächst allein von einer älteren Kollegin, die bereits einige Jahre nach einem Nachfolger gesucht hatte. Die Räume waren etwas in die Jahre gekommen, aber doch so gut, dass er gleich starten konnte. Neulich erst wurde das Wartezimmer frisch gestrichen.

„Als Arzt oder Ärztin wird man auf dem Land offen empfangen. Alle freuen sich, super, so einen brauchen wir hier“, berichtet Himmel von den Reaktionen. „Da stehen die Türen erstmal offen, aber das heißt nicht, dass man gleich ein funktionierendes Netzwerk oder einen großen Freundeskreis hat.“ Dennoch, für die beiden Neuen lief es gut im Wendland, Kontakte entstanden schnell, gerade auch über die Kinder und die Schule. Mehr als in der Stadt, wie Schloon feststellt. Außerdem gibt es eine Szene von Leuten, die aus Hamburg, Berlin und Leipzig kommen, und Lust haben, etwas auf die Beine zu stellen. „Den Freiraum nutzen“, nennt Schloon das und hat mit Gleichgesinnten im ehemals leerstehenden Lüchower Rathaus neulich eine Ausstellung organisiert. Und auch auf fachlicher Ebene gibt es den notwendigen Austausch. Eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen trifft sich regelmäßig zu einem Qualitätszirkel, bei dem medizinische Themen und Fragen besprochen werden. „Ein loser, aber guter Zusammenhalt unter den Niedergelassenen in der Region“, freut sich Himmel.

„Als Arzt oder Ärztin wird man auf dem Land offen empfangen. Alle freuen sich, super, so einen brauchen wir hier.“

Hanno Himmel

Zukunft gestalten

Rund 2.300 Patienten versorgen Himmel und Schloon in Clenze und in einer Zweigpraxis im sechs Kilometer entfernten Bergen, die sie zusätzlich übernommen haben, da der dortige Kollege überraschend aufhörte. In Bergen laufen nur vormittags Akut- beziehungsweise offene Sprechstunden, in Clenze bieten sie ganztägig feste Termine an. Die Patientinnen und Patienten sind hier wie da größtenteils ältere Menschen. Himmel und Schloon treffen sie auch im Ort. Himmel mag diesen persönlichen Kontakt. „Als Landärzte lernen wir die unterschiedlichen Lebenswelten der Patienten gut kennen. Das ist schon besonders und macht auch einen Reiz des Jobs aus.“

„Die Strukturprobleme aber werden sich weiter zuspitzen“, betont Simon Schloon. „Praxisschließungen in der Region kriegen wir hier direkt zu spüren, da die Patienten dann auch bei uns vor der Tür stehen.“ Die Frage sei, wie die Zukunft der medizinischen Versorgung auf dem Land aussehe. Seine Generation, so Schloon, müsse diese ja gewährleisten. Mehr Geld werde das Problem nicht lösen, vielmehr fordert er eine stärkere politische Steuerung beziehungsweise Förderung. „Es wäre sehr wünschenswert, dass es leichter wird, gemeinsam mit anderen etwas aufzubauen. Wir könnten auch sofort mehrere Ärzte einstellen, wenn uns geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stünden.“ Die Praxis platze derzeit aus allen Nähten, ein Neubau aber sei viel zu teuer und in einem geplanten Ärztehaus in Lüchow seien die Mieten unbezahlbar. „Außerdem müssen wir agiler werden“, sagt Schloon. Für ihn ist es misslich, dass er aufgrund der gegenwärtigen Bedarfsplanung beispielsweise nicht einfach eine sich in Elternzeit befindliche Ärztin einstellen kann, die zwei Stunden am Vormittag Videosprechstunde anbietet.

Hanno Himmel sieht einen weiteren wichtigen Ansatz, um dem Ärztemangel auf dem Land zu begegnen: „Die Studierenden werden im klinischen Umfeld sozialisiert. Eine Famulatur in einer Landarztpraxis oder eine dort absolvierte Weiterbildungsassistenz ist die absolute Ausnahme. Das müssen wir ändern und nicht-städtische Anteile fest in die Ausbildung integrieren.“ Nachwuchs fänden ländliche Praxen nur, wenn sie Famulaturen und frühzeitig auch Weiterbildung anböten und so die Chance auf einen Nachfolger langfristig aufbauten.

„Das Schöne am Hausarztberuf ist ja, dass unser Produkt immer abgenommen wird, man muss sich keine Sorgen machen, dass keiner mehr kommt.“

Simon Schloon

Wirtschaftlich sein

Ist eine Praxis auf dem Land überhaupt wirtschaftlich auskömmlich? „Unsere Selbstständigkeit“, sagt Himmel, „ist ja nicht mit einem Handwerksbetrieb zu vergleichen, das was wir tun ist planbar, es ist reguliert. Die Einnahmen sind also erwartbar.“ Die Niederlassung ein kalkulierbares Risiko findet auch Schloon. „Das Schöne am Hausarztberuf ist ja, dass unser Produkt immer abgenommen wird, man muss sich keine Sorgen machen, dass keiner mehr kommt.“ Dennoch: „Um die Praxis wirtschaftlich zu betreiben, reicht es nicht, nur das Notwendige zu tun. Es braucht eigentlich einen Privatpatienten- und auch einen IGeL-Anteil. Beides lehnen wir zwar bislang ab, werden uns aber wohl in diese Richtung bewegen müssen.“ Ein Spagat zwischen wirtschaftlicher Auskömmlichkeit und persönlichem Idealismus. „Das ist leider so“, sagt Schloon. „Für mich gehört ein Verkaufsgespräch einfach nicht in eine medizinische Beratung.“

Strukturen fördern

Junge Ärztinnen und Ärzte sollten sich unbedingt überlegen, aufs Land zu gehen, finden Himmel und Schloon. Sie laden zu Famulaturen oder auch einer Weiterbildung nach Clenze ein. „Die Leute müssen einfach mal vorbeikommen, dann sehen sie, dass es hier auch cool ist“, sagt Himmel.

Dass dies tatsächlich geschieht, ist auch das Anliegen der Wirtschaftsförderung des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Dessen Willkommensagentur „Wendlandleben“ hat vor einiger Zeit sogar einen Schwerpunkt auf die Ärzteschaft gelegt und 2023 einen Film sowie einen Podcast produziert, die Lust machen sollen, sich im Wendland niederzulassen. Mit dabei auch Simon Schloon. Herausgekommen ist kein „08/15-Werbefilm“, sondern ein kritischer Umgang mit der Situation vor Ort“, wie Steffen Rudnik von der Wirtschaftsförderung festhält. „Die Leute fanden den Film so gut, dass er tausendfache organische Interaktionen in den sozialen Medien erzielen konnte.“

Rudniks Kollegin Sigrun Kreuser betont: „Mit Bordmitteln, also mit geringem finanziellem Budget, ist es uns gelungen, zum einen Bewusstsein und Selbstvertrauen zu schaffen und zum anderen sind wir als Landkreis durch den authentischen und nicht geschönten Film nach innen und außen sichtbar geworden. Die Ärzte haben ohne Honorar mitgemacht, weil es auch ihnen ein Anliegen ist, die Region zu stärken. Das wird wahrgenommen.“

„Wir haben viel fürs Image getan“, bestätigt auch Rudnik, „ohne aber konkrete Auswirkungen auf die Niederlassung zu erzielen.“ Soll heißen, eine neue Ärztin oder einen neuen Arzt zum Umzug aufs Land zu bewegen, ist trotz allem nicht leicht. Größtes Hemmnis für die Niederlassung ist der schwierige Wohnungsmarkt. Die Wirtschaftsförderung unterstützt bei der Wohnraumsuche, aber das Angebot auf dem Land ist schmal und die attraktiven Angebote gehen unter der Hand weg. Bleiben das gute Image, die Natur, die netten Menschen. Das Wendland sei ein kreativer und dynamischer Landkreis, so Rudnik, und ohne Autobahn sei es doch auch viel schöner als mit. Im Wendland herrsche das positive Motto „Leben und leben lassen“. Diese weichen Standortfaktoren sind es, die dem strukturschwachen Raum helfen sollen, Ärztinnen und Ärzte anzulocken.

Teams aufbauen

Himmel und Schloon hoffen trotz der Hindernisse irgendwann in einem ökologisch sanierten Praxisgebäude zu arbeiten gemeinsam mit neuen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Dabei wollen sie sich auf ein großes und familiär geführtes Team stützen. Doch eigentlich haben sie das bereits. Die Stimmung in ihrer Praxis ist so gut, dass sie sogar Initiativbewerbungen von MFAs erhalten alles andere als selbstverständlich. Das Landleben ist also attraktiv, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Schloon tritt in seinen Sneakern vor die Tür und muss aufpassen, auf der Straße nicht in Mist zu treten. „Ich glaube, wir machen das insgesamt schon ganz gut hier“, sagt er zu seinem Freund Hanno Himmel. Beide lächeln. Beide sind zufrieden. Zurück in die Stadt? Nein! Denn hippe Schnauzer finden sich zukünftig auch auf dem Land immer öfter.

Podcast „Wendlandreden“, Folge „Landgesundheit“:
Hebamme Rike Zanjani, Hausarzt Dr. Simon Schloon und Osteopath Jonte Witte über ihre Perspektiven auf die Zukunft der Landgesundheit im Wendland.

Film „Wendlandärzte“:
Kurzfilm mit Ärztinnen und Ärzten, die authentisch schildern, woran es mangelt und was sie schätzen an ihrem Job im Wendland.

Beides unter: www.wendlandleben.de/leben/wendland-arzt.html