Komplizierte Rechtslage: Umsatzsteuer in der Arztpraxis – Teil 1
Die Beurteilung, ob eine ärztliche Leistung umsatzsteuerfrei oder umsatzsteuerpflichtig ist, ist nicht immer einfach.
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Während früher alle Leistungen, die von einem Arzt oder einer Ärztin erbracht wurden, allgemein als umsatzsteuerbefreit galten, ist die Rechtslage heute deutlich komplizierter. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass die Ärzte ihr Leistungsspektrum erweitert haben und zum anderen darauf, dass die Rechtsprechung sich sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene weiterentwickelt hat. Maßgebend für die Beurteilung im Hinblick auf die Umsatzsteuerpflicht ist jetzt die einzelne Tätigkeit, die jeweils zu untersuchen ist und gewisse Voraussetzungen erfüllen muss, damit die Umsatzsteuerfreiheit bejaht werden kann. Eine berufsbezogene Umsatzsteuerbefreiung ärztlicher Leistungen gehört damit längst der Vergangenheit an.
Ärztliche Leistungen sind grundsätzlich gem. § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei, wenn sie medizinisch notwendig sind und damit als Heilbehandlungen im engeren Sinne eingestuft werden können. Die medizinische Notwendigkeit soll vorliegen, wenn die Leistung der Vorbeugung, Diagnose und Behandlung und damit der Heilung des Patienten dient (vgl. EuGH, Urteil vom 14.09.2000 – Rs. C 384/98). Somit steht ein therapeutischer Zweck im Mittelpunkt der Umsatzsteuerbefreiung. Auf die Rechtsform des Unternehmers kommt es für die Umsatzsteuerbefreiung nicht an, so dass diese sowohl für Einzelpraxen als auch für Berufsausübungsgemeinschaften oder Medizinische Versorgungszentren zum Tragen kommen kann (vgl. BFH v. 04.03.1998 – XI R 53/96, BStBl 2000 II S. 183).
„Ärztliche Leistungen sind grundsätzlich gem. § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfrei, wenn sie medizinisch notwendig sind und damit als Heilbehandlungen im engeren Sinne eingestuft werden können.“
Dr. Jörg Schade, Steuerberater
Die Beurteilung, ob eine ärztliche Leistung umsatzsteuerfrei oder umsatzsteuerpflichtig ist, ist nicht immer einfach. Der behandelnde Arzt muss nachweisen können, dass sein Eingriff ein therapeutisches Ziel verfolgt hat. Dazu ist eine detaillierte Dokumentation seiner Diagnose und der erfolgten Therapie notwendig. Hier steht die ärztliche Schweigepflicht oft in Konflikt mit der Beweispflicht gegenüber der Finanzbehörde. Dennoch kann sich die Ärztin oder der Arzt diesbezüglich nicht auf diese Geheimhaltungspflicht berufen, sondern muss vielmehr im Zweifel das Einverständnis des Patienten für die Offenlegung der Eintragungen in der Patientenakte einholen.
Während die Übernahme der Kosten einer ärztlichen Behandlung durch die Krankenkasse für die Umsatzsteuerbefreiung der erbrachten Leistung spricht, ist nicht jede Leistung, die nicht von der Krankenkasse übernommen wird, automatisch umsatzsteuerpflichtig. Deshalb müssen insbesondere die individuellen Gesundheitsleistungen besonders untersucht werden, denn sie können sehr wohl medizinisch indiziert sein.
Im Bereich der Vorbeugung und Prävention muss ein unmittelbarer Krankheitsbezug im Mittelpunkt der Untersuchung und Therapie stehen. Dient die ärztliche Leistung dazu, die Entstehung einer Krankheit zu verhindern und /oder Krankheiten möglichst früh zu erkennen, dann ist diese umsatzsteuerfrei. Dazu zählen zum Beispiel Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, Untersuchungen zur Glaukomfrüherkennung oder Mammographien. Nicht umsatzsteuerbefreit sind hingegen Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe nach § 20 SGB V, wenn sie nur den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern sollen (zum Beispiel Rückenschule oder Aquafitness).
Sind die Tatbestandsmerkmale für die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG nicht erfüllt, muss der Arzt grundsätzlich für diese Leistungen Umsatzsteuer in Rechnung stellen (derzeit 19 Prozent) und an das Finanzamt abführen, es sei denn, er kann sich auf die Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG berufen. Von dieser Regelung kann der Arzt profitieren, wenn die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen im vorigen Geschäftsjahr 22.000 Euro nicht erreicht haben und im laufenden Geschäftsjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht überschreiten werden. Dazu ist es zwingend erforderlich umsatzsteuerfreie von umsatzsteuerpflichtigen Leistungen buchhalterisch zu trennen und gesondert zu verbuchen, denn nur so kann man die Einhaltung der vorgegebenen Grenzen laufend überwachen und nachweisen. Ein enger Austausch zwischen dem Arzt und seinem steuerlichen Berater bezüglich der in der Praxis durchgeführten Leistungen ist aus diesem Grund von besonderer Bedeutung.
Dr. Jörg Schade, Dipl.-Kfm., Steuerberater und Wirtschaftsprüfer und Laura Stüwe, Steuerberaterin, beide BUST-Steuerberatungsgesellschaft mbH Hannover.