Wer übernimmt meine Praxis?
Dr. Carsten Gieseking führt seit über 30 Jahren eine erfolgreiche hausärztliche Praxis in Müden/Aller im Landkreis Gifhorn an der Grenze zum Landkreis Celle. Seine Praxis hat er immer auf dem neuesten Stand gehalten. Aus privaten Gründen will er nun die Praxis an eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger abgeben. Leichter gesagt als getan.
kvn.magazin: Die Abgabe der eigenen gutgehenden Praxis auf dem Land erscheint manchen Ärztinnen und Ärzten wie ein Schreckgespenst. Wie waren und sind Ihre Erfahrungen?
Dr. Carsten Gieseking: Ja, was heißt Schreckgespenst? Es ist tatsächlich ungeheuer schwierig geworden, einen Nachfolgenden für eine Praxis zu finden, insbesondere in ländlichen Regionen, wie das bei mir ja der Fall ist.
Wie viele Interessenten haben sich bei Ihnen gemeldet?
Nachdem ich im Sommer mit einer frisch gebackenen Fachärztin für Allgemeinmedizin einig war, alle Anträge gestellt und alle Förderungen beantragt und bewilligt waren, hat sie ganz kurz vor dem Ziel doch der Mut verlassen, und sie ist abgesprungen. Danach gab es, trotz intensiver Bemühungen, genau einen Interessenten.
Glauben Sie, dass die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten zur Niederlassung auf dem Land sinkt?
Ja, davon bin ich überzeugt. Aber nicht nur auf dem Land. Insgesamt sehen wir einen deutlichen Trend zur Anstellung und eine zunehmende Priorisierung der Work-Live-Balance. Dabei ist gerade in einer Gemeinschaftspraxis die Flexibilität als Chef unschlagbar.
Natürlich spielt immer der Preis eine Rolle. Wie waren die Reaktionen auf Ihre Vorstellungen?
Da meine Praxis in einem förderwürdigen Gebiet liegt und zumindest zum 1. Juli 2024 alle Förderungen von KVN, Landkreis und Gemeinde bewilligt waren, lag der Eigenanteil, den der Nachfolgende an mich hätte bezahlen sollen, bei 20.000 Euro. Das ist in Anbetracht des Gewinnes, den diese Praxis erwirtschaftet, tatsächlich lächerlich.
Haben Sie die Herausforderungen der Praxisabgabe unterschätzt?
Dass es nicht einfach wird, war mir klar. Durch die Förderungen ist aber die Eigeninvestition, um zum Besitzer einer Praxis zu werden, so klein gewesen, dass ich mit solchen Schwierigkeiten nicht gerechnet habe.
Die Praxisabgabe ist also kein Selbstgänger?
Nein, absolut nicht. Es wird jetzt auch deutlich schwieriger, da die Anträge zur Förderung nur von einem ernsthaften Bewerber gestellt werden können und im Vorhinein völlig unklar ist, ob noch Geld im Fördertopf vorhanden ist.
Wo waren Sie aktiv? In der Familie, bei Freunden, bei Kollegen oder anderen Netzwerken?
Ich habe in diversen Printmedien – Deutsches Ärzteblatt, Niedersächsisches Ärzteblatt, Der Hausarzt etc. – inseriert, ohne eine einzige Rückmeldung zu erhalten. In verschiedenen Portalen, auch bei der KVN und beispielsweise der APO-Bank, steht meine Abgabebeschreibung. In diversen Netzwerken im Internet und Social-Media-Gruppen über Whats-App, Signal, Threema, Siilo … ich habe wirklich alle mir zur Verfügung stehenden Kanäle genutzt. Ich bin sogar über 200 Kilometer gefahren und habe in den umliegenden Bereitschaftsdienstpraxen und Notfallaufnahmen Flugblätter verteilt.
Liegen die Probleme der Abgabe an einem Investitionsstau?
Nein, eher nicht. Ich habe die Praxis vor 32 Jahren als Einzelpraxis neu gebaut. Seit 25 Jahren habe ich einen Kompagnon und wir haben unser „Zentrum“ mit einer angestellten Fachärztin und meist einer Ärztin oder einem Arzt in Weiterbildung immer weiter ausgebaut. Auch haben wir ein toll funktionierendes, gut weitergebildetes Team vom 10 MFA – VERAH, NäPa, Wundmanagerin – und keinen Personalmangel.
Also liegen die Probleme am Standort in der ländlichen Region?
Ich denke ja. Wie oben schon angesprochen habe ich keine bessere Erklärung. Vielleicht ist in der Folgegeneration immer noch das Bild des rund um die Uhr arbeitenden Landarztes in den Köpfen? Ich würde gern zeigen, dass das ganz anders geht!
Spüren Sie, dass sich die schwierigen Rahmenbedingungen negativ auf die Niederlassungsbereitschaft auswirken?
Ganz eindeutig. An der finanziellen Investition kann es zumindest im Fall meiner Praxis nicht liegen. Die Medizin wird weiblich und das Lebenskonzept vieler Frauen ist doch anders geworden. Und wenn man von Kollegen immer wieder von Budget, Regressen, Bürokratie, schlechter EDV etc. hört, will man wohl lieber im Angestelltenverhältnis verbleiben. Ein Trend, den ich persönlich sehr bedauere, denn gerade als Selbstständiger in der Niederlassung hat man doch die Möglichkeit, sich den schönsten Beruf der Welt zu „gestalten“.
Tipps rund um die Praxisabgabe
Die KVN unterstützt: Viele Ärztinnen und Ärzte denken rund um die 60 an die Praxisabgabe. Doch wie vorgehen? Es gibt kein Patentrezept. Aber es gibt Möglichkeiten, um erfolgreich zu sein. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) unterstützt gerne. Doch auch Sie selbst können einiges tun. Wesentlich ist, sich frühzeitig, also bereits mehrere Jahre vor dem Ruhestand, mit der Nachfolge zu beschäftigen, denn nicht immer findet sich sofort eine geeignete Person, die die Praxis übernehmen will.
Kontakte aufbauen und pflegen: Vernetzen Sie sich und nutzen Sie Kontakte zu niedergelassenen und in Kliniken tätigen Kolleginnen und Kollegen. Krankenhäuser können eine gute Anlaufstelle sein, wenn Sie eine Ärztin oder einen Arzt in Weiterbildung in die Praxis holen möchten. Sie benötigen dafür eine Weiterbildungsbefugnis. Diese beantragen Sie bei der Ärztekammer Niedersachsen. Auch Qualitätszirkel und Stammtische eignen sich gut, um ins Gespräch zu kommen. Vielleicht möchte jemand eine Praxis übernehmen oder kennt jemanden, die oder der mit dem Gedanken spielt. Sprechen Sie auch die frühere Studienkollegin oder den im Berufsverband aktiven Kollegen an. Je mehr Menschen Sie einbeziehen, desto größer ist die Chance auf Erfolg.
Gemeinde oder Kommune ins Boot holen: Scheuen Sie sich auch nicht, Ihren Bürgermeister oder Ihre Landrätin mit ins Boot zu holen. In einigen Kommunen gibt es Ansprechpersonen, die sich bestens mit der medizinischen Versorgung vor Ort auskennen. Ein weiteres Instrument: In Anzeigen in Fachzeitschriften wie dem Niedersächsischen Ärzteblatt oder dem Deutschen Ärzteblatt in der gedruckten und der digitalen Version haben Sie die Möglichkeit, die Besonderheiten Ihrer Praxis darzustellen. Die Praxisbörse der KVN unter praxisboerse.kvn.de bietet eine weitere Präsentationsmöglichkeit Ihrer Praxis. Zudem kann es sinnvoll sein, Ihre Bank, ein Steuerberatungsbüro und eine entsprechend qualifizierte Anwaltskanzlei zu involvieren.
Seminare besuchen: Zum Thema Praxisabgabe gibt es Seminare der KVN. Hier erhalten Sie Tipps und können Ihre Fragen stellen. Auch die Praxisberater der KVN-Bezirksstellen stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite:
www.kvn.de/mitglieder/beratung